Mein Vater Friedrich Wilhelm (Fritz) Winter wurde am 20. August 1890 als Sohn des Kunsttischlers Karl Winter und dessen Ehefrau Angelika in Landau geboren. Bereits in den ersten Jahren seiner Schulzeit wurde der „kleine Fritz“ sehr „auffällig“: seine Eltern und seine Lehrer bestaunten die extreme zeichnerische Begabung des Kindes und förderten es auch.
Nach einer Lehre in der Werkstatt seines Vaters erhielt er aufgrund seines außerordentlichen Talents ein Stipendium an der Kunstakademie in München. Er wurde Holzbildhauer. Seine Arbeiten waren geprägt von der Kunstrichtung des Jugendstils. Er erhielt dafür viele Belobigungen und einige Preise. In seinen Entwurfsskizzen wurde seine Fähigkeit deutlich „plastisch“ oder „dreidimensional“ zeichnen zu können.
Den ersten Weltkrieg überlebte er unverwundet in den Löchern und Schützengräben des Stellungskrieges in Frankreich. Zeichenblock und Zeichenstift gehörten dabei zu seiner „militärischen Marschausrüstung“. Er verstand es, die grausame und tödliche Monotonie dieser Zeit zu überwinden indem er jedes und jeden skizierte und zeichnete. In den Gefechtspausen umlagerten ihn seine Kriegskameraden, um sich von ihm porträtieren zu lassen.
Weil seine Marschausrüstung keinen Platz ließ für „Privatgepäck“ waren seine Skizzenblöcke sehr klein – sie hatten nur Postkartengröße. Doch mit feinstem Stift brachte er immer wieder mehrere Motive auf eine Seite.
Kurz nach Kriegsende verlor er am 2. Dezember 1918 in der Landauer Ostbahnstraße beim Einsteigen in die Pfälzer Oberlandbahn einen Fuß. Der Landauer Anzeiger berichtete einen Tag später, dass „der in den 20er stehende Sohn der Familie Winter“ in das Gasthaus Roter Hahn gebracht wurde, wo sich die Landauer Sanitätskolonne seiner annahm.
Dieser Unfall bedeutete das Ende seiner geliebten Bildhauerei, denn diese Arbeit wird überwiegend im Stehen ausgeübt. Und es bedeutete auch Armut, denn da der Unfall nach seinem Wehrdienst erfolgte, erhielt er keine Kriegsrente. Schließlich fand er eine Anstellung als Zeichner beim Stadtbauamt Landau. Das sicherte ihm das finanzielle Überleben.
Aber er blieb Zeichner aus Leidenschaft und ließ deshalb keine Gelegenheit aus, mit flinkem Strich Landschaften, Bäume, Blumen, Tiere oder lustig-komische Szenen des menschlichen Alltags festzuhalten. Er Schuf Zeichnungen und Karikaturen für den früheren „Landauer Anzeiger“, für das Bistumsblatt „Der Pilger“, für die Rheinpfalz-Beilage „Pfälzer Feierowend“ und illustrierte Schul- und Kinderbücher.
Die Ruine der Maxburg – heute als Hambacher Schloss bezeichnet – bot ihm einen unerschöpflichen Reichtum an Motiven. Er zeichnete jeden dornenbewachsenen Mauerwinkel, jedes zerfallene Fenster, jede verwitterte Treppe. Er zeichnete „alles“ in und um seine geliebte Burg.
Zusammen mit seinen Wanderkameraden vom Landauer Touristenclub „Wandervogel“ richtete er im November 1921 einen Wachturm des Hambacher Schlosses als Wochenendherberge her. Dort trafen sich die „Räuber“ – so nannte sich nun die Vereinigung von Pfalz- und Wanderfreunden und dort wurde erzählt, sinniert, philosophiert, gelacht, gesungen und – mit Hilfe des Weines – geträumt von besseren Zeiten, nach dem Motto „Eher soll die Welt verderwe, als vor Dorscht än Pälzer schterwe“!
Die Eintragungen in den zwischen 1923 und 1940 erstellten Hüttenbüchern der Räuber wurden illustriert mit Bleistift- und Federzeichnungen meines Vaters und versehen mit seinen humorigen Weisheiten um die Freuden und Leiden des Wanderns und des Weins. Er wusste um die „universal-planetarische und katalysatorische Wirkung“ des Weins und hat diese zu Papier gebracht.
Mein Vater verstarb am 19. Dezember 1952 im Alter von nur 62 Jahren in seiner Geburtsstadt Landau und wurde am 22. Dezember 1952 auf dem Städtischen Friedhof zur letzten Ruhe gebettet. Der unermüdliche Wanderer war an seinem letzten Ziel angekommen.
Klaus Winter